site-specific
Dr. Walter Siegfried
SŠnger, Performer, MedienkŸnstler, MŸnchen.
http://www.ariarium.de/
Materialsammlung zur Begriffsgeschichte,
revidierte Version fŸr Bayreuth 2008.
Situs, das im Begriff site-specific enthalten ist, meint den Ort,
die Lage. Es wird besonders in der Wendung in situ verwendet und dies in zwei
Bedeutungsfeldern: einmal in der ArchŠologie, dann in der Medizin. In
beiden FŠllen wird eine Sache in Beziehung gesetzt zu einem grš§eren Ganzen;
etwa eine SŠule in Beziehung auf die AusgrabungsstŠtte oder ein
Organ in Beziehung auf den Gesamtorganismus, in dem das Organ richtig
positioniert ist, oder aber zum Beispiel seitenverkehrt (situs inversus).
Dieses PhŠnomen, dass eine Sache positioniert ist und so auf ein grš§eres Ganzes
verweist, kennen wir auch im Kunstkontext. In unserem Kulturkreis wŠre etwa an die
Ostung der Kirchen zu erinnern. Ich habe einmal in Kšln zur MorgendŠmmerungszeit -
etwa eine Stunde vor der bŸrgerlichen DŠmmerung - einige ZŸge
Ÿbersprungen, um im Dom den Tagesanbruch zu erleben. Dabei wurde mir klar, dass
man dieses Bauwerk - und mit ihm all die anderen geosteten gotischen Kirchen -
als einen Apparat verstehen kann, der die Wiederkehr des Lichtes feiern will.
Es ist dann nicht mehr primŠr gestalteter Innenraum, sondern
vielmehr ein Ort, der mich und meine Aufmerksamkeit so ausrichtet, dass mir
meine Lage in Beziehung zum Licht klar wird, dass ich verwiesen werde auf meine
Lage im kosmischen GefŸge.
In den letzten Jahrhunderten ist dieser Charakter des Verweisens
in den Hintergrund getreten, weil in unseren Breiten ein geschlossener,
kompakter Werkbegriff vorherrschte - entwickelt etwa an den Modellen von
Tafelbild und Skulptur. Der geschlossene Charakter des Werkes, seine Abgrenzung
gegenŸber einem Anderen galt geradezu als Signum der Kunst. Ortega y Gasset hat
das Thema der Grenze als konstitutives Element fŸr das Kunstwerk in seinem
Aufsatz Meditation Ÿber den Rahmen (Meditacion del marco 1921) angerissen. Der
Rahmen markiert die Abgrenzung des Bildes vom alltŠglichen Raum,
so wie dies der Sockel fŸr die Skulptur tut. €hnliches lie§e sich fŸr die
klaren Zeitgrenzen im Bereich der Musik sagen; das Werk ist zeitlich klar
abgegrenzt vom Nichtwerk - wo sich dann das Publikum rŠuspern darf.
Schlie§lich sind auch die RŠume fŸr die Kunst - Museen,
KonzertsŠle, OpernhŠuser - Sinnbilder dieses Abschottens vom Alltagbereich. Sie sind
Orte fŸr die Versammlung von Aufmerksamkeit; SchonrŠume, in denen
die Wahrnehmung sich ganz auf eine Sache (scil. das Werk) einlassen kann, in
denen die Wahrnehmung befreit ist von anderen Aufgaben. Die konzentrierte
Zuwendung zu einer Sache braucht diese geschŸtzte Zone. Wir schaffen uns
solchen Schutz manchmal auch in gewšhnlichen Situationen, wie etwa
beim Gehen auf einem nicht ganz einfachen Weg: Wenn wir da einen klaren
Gedanken formulieren wollen, halten wir inne im Gehen, um uns ganz der Arbeit
des Formulierens zuwenden zu kšnnen. Wir schaffen uns Zeit fŸrs
Denken, fŸr das Versammeln der Aufmerksamkeit.
Das andere PhŠnomen, das sich - neben dem
Abgrenzungscharakter - aus dem geschlossenen kompakten Werkbegriff entwickelt
hat und fast selbstverstŠndlich zur Kunst zu gehšren scheint, ist die
TransportabilitŠt, die UnabhŠngigkeit des Werkes von Ort und Zeit. Die GemŠlde sind nicht
mehr als Fresken in den Originalraum hineingebunden oder als ma§geschneiderte
Altartafeln an einen spezifischen Kirchenraum angepasst, sie haben mit dem
Tafelbild transportable Formate angenommen, sie werden vom Atelier ins Museum
oder in die Galerie und von dort aus in die Wohnung des KŠufers
gebracht.1
Vor dieser Folie des geschlossen kompakten Kunstwerkes werden zwei
starke KrŠfte des Schaffens im 20. Jahrhundert sichtbar. Sie brechen sich
durch verschiedene Kunstformen hindurch Bahn und sind beide zentrale Elemente
fŸr die site-specific art forms:
1. Die
Sprengung oder zumindest Thematisierung der Grenze
2. Die
Verankerung des Werkes in Raum und/oder Zeit
Das Verlassen der rahmeninternen (selbstreferentiellen) Welt ist
ein langer Prozess, den ich in einer Diaton-Schau fŸr die ETH, ZŸrich 1982
nachvollziehbar zu machen versuchte unter dem Titel ãVom Raum im Bild zum Bild
im Raum. Ist das Tafelbild am Ende?Ò. Dabei ist spannend zu beobachten, wie
erst die werkinterne KohŠrenz (etwa der Zentralperspektive) gelockert werden muss, um
schlie§lich das Werk aus seinem Rahmen treten zu lassen. Auch im Bereich der
Plastik wird die KohŠrenz der einzelnen Elemente gelockert, so dass der Au§enraum zum
Teil des Werkes werden kann. Programmatisch ist dies bei den Minimal Artists
geworden und hier scheint nach Douglas Crimp2
site specifity in die zeitgenšssische Kunst eingefŸhrt zu werden.
Crimp analysiert in diesem Text unter anderem ein frŸhes Werk von Serra, das
unsere Frage nach der Grenze des Werkes in sehr anschaulicher Weise
beantwortet: Splashing, so der Titel des Werkes, war Teil einer von Robert
Morris 1968 organisierten Ausstellung in einem alten Warenhaus, das die Leo
Castelli Galerie als Lager nutzte. Entlang einer Kante, dort wo Fu§boden und Wand
sich treffen, hatte Serra geschmolzenes Blei hingeschmissen, so dass es sich
unregelmЧig in der Kante, an Wand und Fu§boden verteilte und fest wurde.
Durch die vielen Spritzer wurde die Grenze zwischen Werk und Nichtwerk diffus.
Das Werk war mit dem Au§enraum verklebt. Damit sind wir von der Rahmensprengung
und dem damit verbundenen Einbeziehen des Au§enraumes ins Werk zur Verankerung
dieses Werkes an einem ganz bestimmten Ort (nŠmlich eben an
dieser spezifischen Kante im aufgelassenen Warenhaus) gelangt. Noch ist dieser
Ort im Schonraum der Kunst (Galerie). SpŠter, wenn die Werke dann
hinaustreten in den šffentlichen Raum, kriegt die in der Galerie noch harmlos
erscheinende UnverrŸckbarkeit des Werkes eine politische Dimension. Die fŸr
bestimmte Orte geschaffenen Skulpturen kšnnen nur dort wirken und
existieren. Welche KrŠfte gekonnt positionierte Werke entfalten kšnnen, wird in
den Argumentationen um viele Klassiker des SerraÕschen Oeuvres deutlich (etwa:
Terminal, Bochum 1977 / Tilted Arc, Federal Plaza New York 1981-85). Die durch
die plastischen Provokationen ausgelšsten šffentlichen
Diskussionen enthŸllen bei klaren Analysen - wie sie etwa von Crimp vollzogen
werden - die Interessenskonflikte und politischen MachtkŠmpfe an eben
diesen Orten. Mehrmals, so auch bei Tilted Arc, musste das Werk schlie§lich
weichen, und da es nicht mehr einfach woanders aufgestellt werden kann, hie§
das auch, dass das Werk zerstšrt werden musste: To remove Tilted
Arc, therefore, is to destroy it. (Serra im Public Hearing zur Skulptur am 6. MŠrz 1985 in New
York)
NatŸrlich war Richard Serra nicht der einzige (auch nicht der
erste), den es aus den KunstrŠumen hinauszugehen drŠngte.
Stellvertretend seien wichtige Vertreter genannt3:
Robert Morris, Michael Heizer, Ian Hamilton und Sue Finlay, Walter de Maria,
Richard Long, Robert Smithson, James Turell. Einmal aus den SchonrŠumen der Kunst
entlassen, zeigt sich jetzt die Vielschichtigkeit der Sites, der Orte, die die
KŸnstler auswŠhlen, auf die sie reagieren wollen: Der eine beachtet vor allem
geologische Strukturen (Heizer), der andere LichtphŠnomene
(Turell) und ein dritter (de Maria) metereologische Elemente. In all diesen
Werkgruppen spiegelt sich orts-spezifisches Reagieren auf Landschaften. Dabei
wird oft auch die Vernutzung der Natur durch die Menschen vor Ort thematisiert4.
Ein sehr subtiles Eingehen auf die Landschaft aus dem Bereich der
Musik kann ich nicht unerwŠhnt lassen; die Komposition Princess
of the Stars (1981) des kanadischen Komponisten Murray R. Schafer. Sie spielt
zur Zeit des Sonnenaufganges an einem See in Ontario. Das Publikum sitzt am
Ufer des Sees und hŠrt den Anfang der Geschichte, der aus einem Kanu erzŠhlt wird. Die Komposition ist
aufgebaut auf dem Zeitplan des tatsŠchlichen Erwachens der Natur. SŠngerInnen, die
um den See herum verteilt sind, ahmen Vogelstimmen vor, kurz bevor diese selbst
in die Oper miteinstimmen. Mit anderen Worten wird hier die Zeitstruktur des
musikalischen Werkes in der Zeitstruktur des Tagesablaufs exakt verankert. Man
kann von einem ParallelphŠnomen zur Site-Specificity im Bereich des Zeitlichen sprechen:
Time-Specificity. Die Komposition verweist so gleichsam doppelt auf das
Vorhandene, sie existiert mit dem Vorgegebenen; Kunst und Natur grenzen sich
nicht aus.
Wenn auch die orts-spezifischen Arbeiten in der freien Natur
besonders anschaulich sind, so beschrŠnkt sich der Begriff
site-specific natŸrlich nicht nur auf Landschaften. Norbert Radermachers
Plastiken und Skulpturen stehen in Marseille, Hamburg, Kšln, Paris,
Berlin - allerdings nicht in den Museen und Galerien, sondern an ganz
unerwarteten Stellen im stŠdtischen Raum. Oft bemerkt man sie zunŠchst gar
nicht. Dann aber, wenn man sie entdeckt hat - vielleicht hat ein Kind mich
darauf aufmerksam gemacht -, prŠgen sie sich sehr deutlich ein. Sie
tun dies eben nicht als einzelnes Objekt, sondern als ein Ensemble von
Vorgefundenem und Hineingesetztem. Ein kleiner Betonkuchen am Stra§enrand macht
schlagartig den Irrsinn einer stŠdtischen Betonkonstruktion
deutlich. Das funktioniert natŸrlich nur, wenn diese Objekte mit chirurgischer
PrŠzision ins Stadtbild implantiert werden; sonst versinken sie in
den allgemeinen †berwucherungen.
In einer anderen Nische des stŠdtischen Raumes spielen die
Arbeiten von Lynn Hershman aus den
1970er Jahren. Sie hat in San Francisco (mit Eleanor Coppola) und New York in
Hotels Zimmer eingerichtet. Das Publikum erfuhr Ÿber Anzeigen (Artforum) oder
Ÿber einen zweiminŸtigen Film im Fernsehen (fŸr die New Yorker Aktion) von der
Mšglichkeit, diese Zimmer in den Hotels aufzusuchen. Die Hotels hat
Hershman nicht irgendwann entdeckt, um dann von ihnen zu der Arbeit angeregt zu
werden, sie hatte vielmehr im Museum ein solches Hotelzimmer inszeniert und
bekam dann Schwierigkeiten mit der Direktion wegen der TonbŠnder. Sške Dinkla5 spricht von ãchosen environmentsÒ aber
auch von ãfound environmentsÒ. In einem Šhnlichen Spannungsfeld von
Suchen und Vorfinden arbeitet die Wiener Gruppe Gang Art; in den letzten Jahren
bearbeiten sie gerne Architekturen
der 1950er Jahre, besonders solche mit hoher Bedeutungspolyvalenz, wie de Ponte6 ausfŸhrt.
Als Gegenpol zur gezielten Suche muss auf die Technik des
Umherschweifens der Situationisten hingewiesen werden7.
Sie valorisiert das Vorgefundene ohne dieses zu bearbeiten oder umzubauen. Das
war auch das Anliegen der STADTTAENZER8,
einer MŸnchner KŸnstlergruppe, die durch koordinierte und synchronisierte Kšrperbewegungen
im šffentlichen Raum auf dessen BewegungszwŠnge verwies.
Durch das ErspŸren der bewegungssuggestiven Momente und durch die ironisierende
Distanz zu ihnen wuchs in den Akteuren die potentielle WiderstŠndigkeit gegen
das dichter werdende Netz von Bewegungsregulatoren. Nur wer erkennt, wie er
gefŸhrt wird, kann sich gegen das GefŸhrtwerden wehren.
Fast unbemerkt sind wir im Text von der Skulptur her kommend Ÿber
Musik und Environment zu performativen Kunstformen Ÿbergewechselt. Denn der
Begriff site-specific hat sich in verschiedene Kunstbereiche hinein
emanzipiert; ein Zeichen dafŸr, dass er ein spartenŸbergreifendes PhŠnomen
beschreibt. Brith Gof zeichnet sich seit Jahren durch ortsspezifische
AuffŸhrungen aus und die kŸnstlerischen Direktoren (Mike Pearson und Cliff
McLucas) dieser Theatergruppe arbeiten auch an einer theoretischen Fundierung
ihres Tuns. Brith Gof ist dabei, ausgehend von drei gro§en initial
performances; Gododdin, Pax und Hearn oder Iron, alle im nicht-theatralen Raum,
eine theoretische Basis ihres ortsbezogenen Schaffens zu entwickeln. Ich
zitiere im Folgenden zwei charakteristische Passagen aus einem Vortrag9, den Mike Pearson im Juni 1997 hielt
und zwar im Rahmen des vom Nederlands Theatre Instituut initiierten Seminars
(on site specific theatre) From behind the clouds came the wind:
ãSolche site-specific performances feiern, erŠrtern,
mischen, kritisieren die EigentŸmlichkeiten eines Ortes und bringen sie ans
Tageslicht; der Ort wird dicht (saturated space), er wird zu einem Tatort,
einem kriminalistischen Feld, in dem, um mit den Richtern zu sprechen, alles
potentiell wichtig ist.Ò (Mike Pearson)
ãIm Idealfall haben ortsbezogene Performances, ... , keine
natŸrlichen Grenzen oder Rahmen um ihre IdentitŠt
abzuschotten, keinen BŸhnenhintergrund, der die Šusseren Zonen
auf ein Zentrum hin organisiert, ... , es gibt keinen gŸnstigsten Ort, von dem
aus sie anzuschauen sind. Wo und was ist das Werk? Sie sind eher als Feld denn
als theatrales Objekt zu charakterisieren ... ein multi-fokales Feld von
Materialien.Ò (Cliff McLucas)
Brith Gof hat sich jetzt einer Region zugewandt, die von Planungen
umgenutzt wurde (Tal als Wasserspeicher), so dass Menschen umziehen mussten und
ganze Landstriche zunŠchst verschwanden (in den Wasserreservoirs) - jetzt aber, nach
erneuter Umzonung, wieder auftauchen. Historische Schichten sind spŸrbar, ein
dichtes Feld mit vielen emotionalen Bindungen und Spannungen. Diese lieux de mŽmoire, an
denen soziale Erinnerung konstruiert wird, befragt jetzt Brith Gof - eine Art ArchŠologie der
kulturellen IdentitŠt, die natŸrlich auch die darin vergrabenen politischen Fragen
wieder aktiviert. Als Form entwickeln sie Projekte um die Begriffe ãvisitÒ und
ãguided tourÒ. Beides bedenkenswerte Konzepte fŸr subtile AnnŠherungen an
Orte10.
Bei der Visite wird alles Vorgefundene mšglichst so
belassen wie es ist; es werden allenfalls Orientierungsmarken gesetzt,
BewegungsvorschlŠge gemacht und Tiefenschichten (poetische, politische,
geschichtliche) des GelŠndes in Kartographien festgehalten. Bei der gefŸhrten Tour kšnnen
inszenierte Teile dazukommen und die fŸhrende Person setzt sŠmtliche
performativen Mšglichkeiten ein. Sie lŠsst gleichsam den Ort sprechen.
FŸr die inszenierten Teile arbeitet Brith Gof oft mit dem Architekten Bernard
Tschumi zusammen, der die Wechselwirkungen von architektonischen Strukturen und
theatralen Handlungen in verschiedenen Programmen untersucht.
So wie Serra am Anfang unseres ExposŽs die GalerierŠume verlassen
hat und Murray Schafer den Konzertsaal, so ist Brith Gof aus dem Theaterbau
ausgewandert. Ein weiterer Kunstbau - das Museum – wurde wie gezeigt ebenfalls
verlassen. Auf dem Weg hinaus hat Daniel Buren, ihn als Ort in vielen Arbeiten
zum Ausgangspunkt seiner Reflexionen gemacht:
ãEs handelt sich nicht darum, den Ort (die Architektur), worin
sich die Arbeit einschreibt zu schmŸcken (hŠsslicher oder schšner zu
machen), sondern darum, so genau wie mšglich die Zugehšrigkeit der
Arbeit zum Ort zu prŠzisieren und umgekehrt, sobald diese dort auf sich aufmerksam
macht.Ò (I,427)11
Das Auswandern aus den KunstrŠumen fŸhrte dazu, dass
Kunstobjekte jetzt an unerwarteten Stellen auftauchten – wie etwa in
Radermachers Arbeiten (siehe
oben). Christian Hasucha hat 1989 ein Thesenpapier
…ffentliche Interventionen, Stadt-Implantate, Attributive Plastik
veršffentlicht, in dem umschrieben wird, wie durch solche Setzungen
und Aktionen im nichtmusealen Kontext konstruktives Befremden bei Passanten und
Anwohnern ausgelšst wird.
ãWerden profane Objekte in einer kunstbetriebsfernen Umgebung,
etwa im Strassenbereich einer Grossstadt ungewšhnlich
placiert, so evozieren sie den Abbildcharakter nicht mehr und kšnnen
stattdessen auf StrukturzusammenhŠnge ihres
Umfeldes verweisen.
... erst, wenn die Erscheinungsformen des Kunstobjektes mit denen
des Umfeldes in Beziehung treten, etwa durch Erweiterung bereits existierender
Zusammenstellungen oder durch Akzentuierung des Vorhandenen, wird der Dialog
zur Umgebung erkennbar, wird die Art der Placierung transparent.
Innerhalb eines Ÿberschaubaren Gebietes sollte auch hier die HŠufung
verschiedener Ereignisse vermieden werden. Soweit nicht konzeptionell
begrŸndet, sollten keine reprŠsentativen PlŠtze oder
Boulevards bearbeitet werden, um AffinitŠten zu zirzensischen oder
touristischen Attraktionen zu unterbinden.
Je stŠrker ein solches Ereignis / eine solche Placierung sich aus einer
alltŠglichen Situation heraus entwickelt und ihr zugehŠrig erscheint,
desto intensiver wirken die intervenierenden Momente.Ò12
Heute im Zeitalter der Tele-Kommunikation, in dem der Raum extrem
schrumpft, wo in meinem Laptop gleichsam die ganze Welt anzapfbar wird, wo
ãsiteÒ auch einen Ort im Netz meint, gehšrt nun auch der ferne Ort zum
Ortsspezifischen mit dazu und in dieser Erweiterung lŠst sich der
strenge Begriff, wie wir ihn hergeleitet haben, auf.
Aber gerade die Spannung zwischen den PhŠnomenen im
physisch prŠsenten, material ausgedehnten Raum und den ebenfalls anwesenden PhŠnomenen aus
dem fernen Raum auf unseren Bildschirmen in mehr oder weniger ãechterÒ Zeit
wurde von einigen KŸnstlern frŸh als Gestaltungspotenzial erkannt.
Sherrie Rabinovitz and Kit Galloway haben 1980 die mediale Durchlšcherung der
heutigen Orte mit ihrer Arbeit Hole in Space thematisiert. Ein Kaufhaus in New
York wurde durch Videokonferenzschaltung mit einem Kaufhaus in Los Angeles verbunden. Die Leitungen
waren Ÿber drei Tage zu bestimmten Zeiten geschaltet. Passanten vor der New
Yorker Fassade sahen dann Passanten von Los Angeles und konnten mit ihnen
sprechen. Schnell sprach sich das herum und Familienangehšrige von der
Ost- und der WestkŸste des Landes trafen sich vor dem Loch im Raum.
Auch Penelope Wehrli arbeitet mit der durch die Kabel und
Satelliten nah und šffentlich gewordenen Ferne. In der Ausstellung zum WestfŠlischen
Frieden13 hat sie die Prozesse aus den Haag auf
den OsnabrŸcker Marktplatz Ÿbertragen und dort vor Ort Ÿbersetzen lassen. Dabei
werden die uns oft bewegenden Fragen, wie man mit all dem Wissen Ÿber die
Probleme der geschrumpften Welt umgehen soll, bedrŠngend nah. Man
schlendert zum Einkauf Ÿber den Markt und dann schleicht sich Ÿber Lautsprecher
die Gleichzeitigkeit der Haager Gerichtsbarkeit ein.
Arbeiten, wie die zuletzt erwŠhnten stellen viele Fragen. Was
sind die QualitŠten der in ihnen thematisierten Doppel-Orte? Sind sie durch die
Dichte der Kabel Kreuzungspunkt von Welten? Ist jeder Ort eine Nahtstelle zum
Planeten als Ganzes? Wie gehe ich mit dieser weit gewordenen Welt denn um?
Wieviel kann ich an mich ranlassen und zwar so an mich ranlassen, dass es mich
bewegt und zum Handeln fŸhrt? Ab wann wird der Bildschirm vom informierenden
Medium zum wšrtlichen Schirm – zum Schutz vor Teilhabe, zum Schild gegen
das bedrohliche Andere?
Site Specificity tritt uns in einer grossen VielfŠltigkeit
entgegen, fast mšchte man glauben jeder Ort wŸrde ein neues Konzept von
Ortsbezogenheit generieren14. Es
lassen sich in der Tat, wenn man verschiedene Werkgruppen, die alle mit dem
Begriff irgendwie arbeiten, Revue passieren lŠsst, mehrere
Bezugssysteme zeigen, auf die die Arbeiten sich jeweils einlassen. Dabei machen
die Arbeiten auf QualitŠten aufmerksam, die in den (Spiel-)Orten verborgen sind. Und
gerade das Folgende sind Charakteristika, die trotz aller FŸlle des Begriffes
als grundlegende Gemeinsamkeiten aufgewiesen werden konnten:
dass sie sich vom Ort, den sie bearbeiten, nicht abschotten,
sondern auf ihn eingehen;
dass dadurch ein Rundherum-Kunstwerk entsteht, das weder einen
eindeutigen Betrachter Standpunkt noch einen unverwechselbaren Fluchtpunkt hat;
dass keine Grenzen mehr klar anzeigen, wo das Werk beginnt und
aufhšrt.
LITERATUR
Ausstellungskatalog: Neue Impulse fŸr die Toleranz. 1998
Kulturgeschichtliches Museum OsnabrŸck. Rasch Verlag, Bramsche
Walter Benjamin
Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.
Beardsley, John
Earthworks and beyond. New York 1989
Buren, Daniel
Achtung! Texte 1967-1991. Verlag der Kunst. Dresden Basel 1995
de Ponte, Susanne
Ereignis und Wahrnehmung: eine interdisziplinŠre
Untersuchung zu den Events der KŸnstlergruppe Gang Art. Koerner, Baden-Baden
1996
Dinkla, Sške
Pioniere Interaktiver Kunst von 1970 bis heute. Edition ZKM
Karlsruhe 1997
Rosalind Krauss (ed)
Richard Serra / Sculpture. Museum of Modern Art, New York 1986
Mike Pearson
Brith Gof: Eight Years on Site. in: Seminar on Sight Specific
Theatre. A report. Theatre
Instituut Nederland, Terschellings Oerol. 20-22 June 1997
Walter Siegfried
Der Stadt den Tanz ansagen. in: du, die Zeitschrift fŸr Kunst und
Kultur, ZŸrich, 5/1988
STADTTANZ - †bungen zur Ganzheit. in: Poiesis, Nr.4, Oldenburg
1988: 92-97
Die Stadt als Partitur. in: Kunst und Unterricht. Nr 205 September
1996 Seiten 14-15 Friederich Verlag, Seelze 1996
Situationistische Internationale 1958-1969. Gesammelte Ausgaben
des Organs der Situationistischen Internationale, Band 1, Seite 58ff.
MaD-Verlag, Hamburg 1976
Kunst - Kultur - Ékologie. Auf dem Weg zu einer neuen
Kulturlandschaft. Bea Voigt Edition, MŸnchen 1997
1 Diese TransportabilitŠt hŠngt unter
anderem auch mit dem von Walter Benjamin beschriebenen Wandel der Funktion der
Kunstobjekte vom Kultwert zum reinen Ausstellungswert zusammen. (Walter
Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.)
Wenn, wie zu zeigen sein wird, mit dem PhŠnomen der site-specific art
forms die TransportabilitŠt radikal verhindert wird, ist zu fragen, ob denn bei diesen
Kunstformen nach neuen Kultwerten gesucht wird, ob die so arbeitenden KŸnstler
die verloren gegangene Aura suchen.
2 Douglas Crimp. ãRedifining Site
SpecifityÒ, in: Rosalind Krauss (ed): Richard Serra / Sculpture. Museum of
Modern Art, New York 1986.
3 Die Land Art hat dabei eine zentrale Rolle gespielt. vgl.: John Beardsley. Earthworks and beyond. New York 1989.
4 Beispiele zu diesem
Bereich finden sich in: Kunst -
Kultur - …kologie. Auf dem Weg zu einer neuen Kulturlandschaft. Bea Voigt
Edition, MŸnchen 1997.
5 Vgl. Sške Dinkla. Pioniere Interaktiver Kunst von 1970 bis heute. Edition ZKM Karlsruhe 1997.
6 Susanne de Ponte. Ereignis und Wahrnehmung: eine interdisziplinŠre Untersuchung zu den Events der KŸnstlergruppe Gang Art. Koerner, Baden-Baden 1996.
7 Situationistische Internationale 1958-1969. Gesammelte Ausgaben des Organs der Situationistischen Internationale, Band 1, Seite 58ff. MaD-Verlag, Hamburg 1976.
8 Walter Siegfried. ãDer Stadt den Tanz ansagenÒ, in: du, die Zeitschrift fŸr Kunst und Kultur, ZŸrich, 5/1988 sowie ders. ãSTADTTANZ - †bungen zur GanzheitÒ. in: Poiesis, Nr.4, Oldenburg 1988: 92-97 und schlie§lich: Ders. ãDie Stadt als PartiturÒ, in: Kunst und Unterricht, Nr. 205 September 1996 S. 14-15 Friederich Verlag, Seelze 1996.
9 Mike Pearson. ãBrith Gof: Eight Years on SiteÒ, in: Seminar on Sight Specific Theatre. A report. Theatre Instituut Nederland, Terschellings Oerol. 20-22 June 1997.
10 Ich verstehe auch meine Situativen GesŠnge (Schubert am Grossen Ostersee, Wessobrunner Stationen, GesŠnge im Ibmer Moor, Schlosspark Hellbrunn, Herrmannsdorf, um das Cabaret Voltaire, Winterreise an der Isar) in diesem Sinne.
11 Aus: Notizen Ÿber die Arbeit im VerhŠltnis zu den Orten, in die sie sich einschreibt, ... verfasst 1967-75, ...
12 Aus den Thesen
zur Projektreihe ÉFFENTLICHE INTERVENTIONEN 1989.
13 Ausstellungskatalog: Neue Impulse fŸr die Toleranz. 1998 Kulturgeschichtliches Museum OsnabrŸck. Rasch Verlag, Bramsche.
14 Ein kurzer
Blick ins Internet zeigt, dass der Begriff zur Zeit auch hier luxuriert. Es wŠre sinnvoll
einige StudentInnen zu einer Recherche zu bewegen, die den Gebrauch des
Begriffes im Netz untersucht und Ÿber die Verwendung des Wortes Site als Ort im
Netz nachdenkt.