DER
TROCKENE GARTEN
Der
"trockene Garten" - Hortus siccus ist ein anderer Begriff für
Herbarium - also für jene Sammlungen getrockneter Pflanzen, die
meist mit
Klebestreifen auf Papier, Cellophan oder Glas so befestigt sind, dass
man die
wesentlichen Pflanzenmerkmale erkennen kann.
Ursprünglich
bezeichnete der Begriff Herbarium ein Kräuterbuch.[1] Eines der frühen
wichtigen Werke in
der Reihe der Kräuterbücher ist zweifellos das "New
Kreüterbuch" von
Leonhart Fuchs, das in seiner deutschen Version in Basel 1543 erschien und in der Offizin des
Michael Isingrin gedruckt worden war. Ich weise so ausdrücklich auf den Buchdrucker hin, weil
man seine
Druckermarke im Zusammenhang mit unserem Thema sehen kann. Die
Druckermarke
– ein frühes Logo – findet man meistens auf der Titelseite, wenn
selbige nicht, wie im lateinischen Exemplar der Staatsbibliothek
München, fein
säuberlich herausgeschnitten ist. Auf der Schlussseite findet man
manchmal noch
Variationen der Marke. Hier folgen die Marken von der Titelseite der
deutschen Übersetzung und ein Ausschnitt von der viel
grösseren aber farblosen Marke am
Schluss des Buches.
Bildrechte bei mir.
Eigene Fotos aus Buch in
Privatbesitz.
Der
lateinische Vorläufer erschien bereits 1542 ebenfalls in Basel. Auch dieses Werk wurde in der Offizin des Michael Isingrin gedruckt und zwar
mit einer Druckermarke, deren Baum man
botanisch zuordnen kann.
BILD
BEIM AUTOR
Die Marke auf der
Titelseite von Fuchsens De Historia
Stirpium
zeigt eine Stechpalme
(Ilex aquifolia) mit einem Objekt
(Brett, Buch, Sarg ... )
in der Baumkrone.
Bildrecht in Glasgow
Universität
In allen Variationen von
Baum und in ihm liegendem
Objekt wird immer wieder die Polarität von aufstrebender Kraft und
entgegen
wirkender Schwere deutlich. Das Objekt, das im saftigen Baum liegt,
treibt die Äste auseinander. Es formt den Baum. Es zwingt ihm,
gegen die Natur,
einen
Wuchs auf. Es drückt seine Form in den Baum. Informiert ihn.
Deformiert ihn.
Der Baum wird gepresst.
Als Kind durfte ich oft
mit meinem Vater botanisieren
gehen. Das hieß, spazieren mit dem Hauptaugenmerk auf den
Pflanzen. Man
wanderte an ausgewählte Orte, weil dort bestimmte Pflanzen
erwartet wurden.
Fand man sie, wurden aussagekräftige Exemplare ausgewählt und
sorgfältig in
eine eigens dafür mitgetragene Botanisierbüchse gelegt.
Später - meist beim
Rasten auf der Wanderung - wurden sie aus dieser Büchse
herausgeholt und nach
bestimmten Kriterien provisorisch zwischen Zeitungspapier gelegt. In
einem
dritten Schritt zu Hause dann, wurden sie in die endgültige,
schöne Form
gelegt, dann gepresst und schließlich auf große Bogen
fixiert. Alle Pflanzen
wurden exakt bestimmt: Name, Fundort und Jahreszeit wurden auf
spezielle
Etiketten, die dann auf den Bogen geklebt wurden, notiert. Die Pflanze
war
gleichsam aus dem Naturganzen herausgestanzt, getrocknet und benannt.
Sie war
in diesem Zustand leicht erkennbar, weil sich alle wesentlichen Teile
vor dem
weißen Blatthintergrund formprägnant abhoben. Der
gesägte
Blattrand war
evident, die Zahl der Kelchblätter offen gelegt, die Struktur der
Wurzel vom
Erdreich befreit. Aletheia. Unverborgen zeigte sie sich. Ich liebte
diese
Ordnung. Das getrocknete Wissen gab mir Sicherheit. Ich war geborgen im
väterlich geordneten Kosmos der Natur.
Aus meinem Jugendherbar
Einbeere Paris quadrifolia
Fundstelle: Wald auf dem
Engelberg, Mai 1965
Das Sammeln, Trocknen und
Pressen von Pflanzen
vermittelt gleichsam zwischen der lebendigen Natur und der Abbildung.
Im
schönen Hinlegen vor dem Trocknungsprozess wird das Abbild
vorgeprägt, man
entscheidet sich, was man vom gepressten Exemplar besonders zeigen
möchte. Die
Sammlungen getrockneter Pflanzen tauchen etwa gleichzeitig mit den systematisch-beobachtenden Pflanzenbüchern auf. Beide sind Ausdruck der neu
erwachten Beobachtungslust "an der Natur selbst". Zeichnungen, Drucke
und gepresste Pflanzen werden eifrig unter den Forschern hin- und
hergeschickt.
Es wird verglichen, zugeordnet, systematisch erfasst. Auch die Zeichner
sind in
regem Austausch mit den Forschern. Unser Fuchs gilt als besonders
streng
gegenüber seinem Künstler Albertus Meyer.
Das Herbarium von Felix
Platter aus der Zeit um 1530 ist
gleichsam Material gewordener Ausdruck dieser vielseitigen
Wechselbeziehungen.
In ihm sind neben den gepressten Pflanzen Abbildungen zu finden, seien
es
Originalaquarelle oder Drucke aus Pflanzenbüchern[2].
In einem Fall[3]
lässt sich
nachweisen, wie die dort aufgefundenen Aquarelle von Hans Weiditz als
Vorlage
für Holzschnitte einer Buchpublikation verwendet wurden.
Das Isolieren der
Pflanzen aus dem Kontext –
beispielhaft eben am Herbarium – führt dazu, dass die
verschiedenen Teile
wie Blätter, Stengel, Samen, Früchte mehr Bedeutung erhalten.
Von Conrad Gesner
(1516-1565) an findet man neben den Abbildungen der ganzen Pflanzen nun
auch
Einzelteildarstellungen. Die zerpflückten Pflanzen suggerieren
neue
Vergleichsmöglichkeiten. Im Nebeneinanderlegen – etwa der
Blätter –
erkennt man klar und deutlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
So rückt die ganze
Praxis des genauen Hinschauens, des
Pflückens und Zerpflückens, des Auslegens in eine schöne
Form nahe an den
Bereich des Erkennens, des abstrakten Wissens, des gedruckten Textes.
Bildrechte bei mir, aus
Buch in Privatbesitz.
In alten Büchern
wird mit Fingern spürbar, was gedruckt
heisst. Einzelne Worte sind, bei einer gewissen Grösse mit den
Fingerkuppen zu
entziffern, denn um das von den Lettern gequetschte Papier bilden sich
spürbare
Wölbungen am Rande der Buchstaben. Drucken heisst Pressen und so
sind wir
wieder bei unserem drückenden Objekt im Baum des Druckerzeichens
von Michael
Isingrin.
Beim Nachforschen
über dieses Motiv stoße ich auf
Heinrich Grimm, der das Signet mit der gärtnerischen Praxis in
Verbindung
bringt: "Es war damals allgemein üblich, eine im frühen
Wachstum befindliche
arbor palmae mit einem schweren Stein in ihrer Krone zu belasten, sie
niederzubeugen, um ein zu schnelles Hochschiessen des Baumes zu
verhindern und
dadurch eine breite, kräftige Krone zu erzielen.
Die bekannte Devise "Inclinata resurgo" verbildlichte man
mit einem Palmbaum, den ein
belastender Stein niederdrückte, "Wenn auch
niedergebeugt, erhebe ich
mich doch wieder." [4]
Grimm weist
außerdem nach, dass unser Signet seinen
Ursprung in einer Hans Holbein dem Jüngeren zugeordneten Zeichnung
hat: In
einem saftigen Palmbaum liegt waagrecht ein Mann, der sich mit
Händen und
Füssen gegen eine schwere auf ihn drückende Platte wehrt. Die
Platte könnte
(nach Grimm, Seite 130) ein "Preßtiegel", also ein zentraler Teil
der Druckerpresse
sein. Der Text auf dem Rand der Platte "VERDRUCK MICH ARMEN NIT"
unterstützt
die Vermutung. Die Zeichnung wurde von Hans Lützelberger aus Basel
fein ins
Holz gestochen und fungierte als Druckermarke des Johann Bebel.
BILD BEIM AUTOR
Bildrecht in Dresden
SLUB
Sie wurde in Variationen
von seinem Schwiegersohn
– unserem Michael Isingrin – weiterverwendet bis sie durch die
Heirat von dessen Tochter in die Druckerzeugnisse des nächsten
Schwiegersohnes
- Thomas Guarin – wanderte. Auch wenn zunächst der Text und
später sogar
der liegende Mann verschwinden, bleibt der Druck zwischen Pflanze und
Objekt
fast physisch spürbar und man kann sich vorstellen, wie aus allem,
was
dazwischen liegen könnte, der Saft herausgepresst wird: ein
gewaltsam beschleunigter
Trocknungsprozess.
So
kann man die trockenen Gärten als eine
frühe Form des trockenen Wissens verstehen mit dem der Volksmund
die
Lebensferne grauer Theorie, weit weg vom saftigen, prallen Leben zu
bezeichnen
pflegt. Bei aller Präzision und Klarheit fehlt diesem Wissen
etwas, das zur
Ganzheit des Lebens gehört: Kontext, Zusammenhang, Saft. Dieses
eben fehlt auch
dem gedruckten, trockenen Wort gegenüber dem lebendigen
Sprechen.
Heinrich Seuse, 1295-1366, hat
dies im Buch der Ewigen Wahrheit
formuliert. Weil dabei noch einmal das Bild der getrockneten Pflanze
mitspielt,
sei der Text zum Schluss zitiert:
"Eines muß man
wissen: So verschieden es ist, ob man
ein liebliches Saitenspiel selbst erklingen oder nur davon sprechen
hört, so
verschieden sind die Worte, die in reiner Gnade empfangen werden und
durch den
lebendigen Mund aus einem lebendigen Herzen fließen,
gegenüber genau denselben
Worten, wenn sie auf das tote Pergament kommen, ganz besonders in
deutscher
Sprache: denn dann erkalten sie, ich weiß nicht wie, und
verbleichen wie
abgepflückte Rosen. Denn der erfreuliche Klang, der vor allem
anderen zum
Herzen spricht, erlischt dann, und die Worte werden in der Dürre
unbeteiligter
Herzen empfangen."[5] Heinrich Seuse
Literatur Hahn,
Walter von:
Skizzen zur Schriftlichkeit und Mündlichkeit. in: Incontro a
Bolzano 1992 -
Sprachen der Menschen, Sprache der Dinge. Brixen 1992 Mägdefrau,
Karl: Geschichte der Botanik.
Gustav Fischer, Stuttgart 1973 Rytz,
Walter: Das Herbarium Felix Platters.
Ein Beitrag zur Geschichte der Botanik des XVI. Jahrhunderts.
Birkhäuser Basel
1933 [1] Zum
Unterschied
dazu nannte man damals eine Sammlung getrockneter Pflanzen: Herbarium
vivum oder
auch Herbarium hiermalis, da solche Sammlungen im Winter den Garten
ersetzen
sollten. (Quelle: Mädgefrau, Karl)
Grimm,
Heinrich: Deutsche
Buchdruckersignete des XVI. Jahrhunderts. Pressler Wiesbaden 1965
Anmerkungen
[2] vgl. Rytz,W. 1933, 63f.
[3]
"
... dass
tatsächlich die Aquarelle [aus dem Herbarium von Platter] die
Vorlagen zu den
[Brunfels'schen] Holzschnitten waren und nicht umgekehrt nur farbige
Kopien
derselben." (Rytz 1933,77) ã... mit Sicherheit fest, dass unsere
Aquarelle
tatsächlich den Holzschnitten als Vorlage gedient hatten." (Rytz
1933,79)
[4]
Grimm,
Heinrich: Deutsche Buchdruckersignete des XVI. Jahrhunderts. Seite 131
[5] zitiert nach Hahn, Walter von: Skizzen zur
Schriftlichkeit und Mündlichkeit
in:
Incontro a
Bolzano 1992 - Sprachen der Menschen, Sprache der Dinge. Brixen 1992, 33