- Der romantische Sehnsuchtslaut an der Aach - Ein Spaziergang in Rotis
integrale Fassung mit Bildern in: über Denken herausgegeben von Florian Aicher, Christian Pixis Verlag 1999Bei der ersten Begehung von Rotis mit Anekdoten aus verschiedenen Texten über Otl Aicher im Kopf suchte ich die Orte, für die bei der Lektüre aufgetauchten Ideen.
Ich suchte die Küche auf, in der ich, in Erinnerung an die behauptete Urteigware - Spätzle - die Tarantella über Maccheroni als Gegenthese zu singen gedachte.
Ich schaute zur Brücke, die über den Grenzbach führt, und erinnerte mich an die Geschichte jenes Unternehmers, der, als die Brücke repariert werden musste, kriechend unter den Hindernissen von Bayern nach Baden-Württemberg überwechselte und an die Sätze Otl Aichers, die damals gefallen sein sollen: Meine Herren, das ist die richtige Haltung, sich der Republik Rotis zu nähern. Bravo. Und jetzt an die Arbeit.Aus der Bernauerin hämmerte Carl Orff in mein Ohr Itzt stehns auf der Bruckn, itzt stehns auf der Bruckn ... Im wasser die Fisch, tun d‘Augn fest zu ...
Auf der grossen Wiese stehend tauchte von Charles Ives In Summer Fieldsauf, jenes auch von Johannes Brahms vertonte Ich ruhe still im hohen grünen Gras und sende lange meinen Blick nach oben...
Während dieser ersten Begehung begann ich zu zweifeln, ob eine solch heterogene Mischung von Gesängen dem atmosphärisch einheitlich wirkenden Ort gerecht würde. Ich begann mehr die Gesamtanlage zu sehen und erlebte die Bauten als leicht in die verbindende Natur hineingesetzte Elemente. Der Gedanke an ein rein romantisches Programm tauchte auf. Verunsichert verliess ich Rotis und bat um weiteres Material über Ort und Mann.
Aus der zeitlichen und räumlichen Ferne erhielt der Ort etwas märchenhaftes und plötzlich war da die Heine-textstelle im Kopf: Aus alten Märchen winkt es hervor mit weisser Hand, da singt es und da klingt es von einem Zauberland ... Dieser Text ist in Schumanns Dichterliebe vertont. Die Entscheidung war gefällt: Ich wollte ein rein romantisches Programm. Romantik und Otl Aicher? Aichers Werk wird doch einem strikten Rationalismus zugeordnet. Dazu passt scheinbar seine Abneigung gegenüber - Gefühlvollem. Ein Klassiker also, jeglicher Romantik abhold? Dazu will gar nicht passen, wie er sich immer wieder von Klassik distanzierte.Vielleicht doch romantisch gedacht? Einiges spricht dafür: Seine Betonung des Konkreten, des Besonderen; seine Idee des Design als Volkskunst; die Anlage des Parkes in Rotis mit seinen Staffagen und den bühnenbildartigen Aufbauten. Wenn man sich in diesen Umraum hineinbewegt, erscheint das Werk Aichers facettenreicher, es löst sich aus der Erstarrung im Monolith, zu dem es gerne stilisiert wird.
Gehen wir also mit dem Lied vom Zauberland auf den Platz zwischen den Hauptgebäuden und lassen uns tragen bis zu jenem dreifachen Ach!. Denn Rotis liegt ja eben an der Aach. Jäh geht dann die Begleit-Musik aus dem mitgetragenen Trichter über in ein Zitat von Otl Aicher denn das Denken am Objekt ist mir lieber als das Denken über Ideen und führt uns hinaus zu den Gegenständen im Gelände zwischen Wirklichkeit und Zauberland. So zu den blühenden Apfelbäumen mit Die linden Lüfte sind erwacht, sie säuseln und weben Tag und Nacht...
Nun weiter in eine offenere Landschaft, wo das O am Anfang von Schuberts Im Abendrot Gelegenheit gab, mit Aicher über Rundungen und Kreisformen nachzudenken, während letzte Sonnenstrahlen herniederfielen.
Dann lud ich die Gäste unter die dicht gepflanzte Buchengruppe und setzte damit eine quasi Innenraum-Akustik gegen das vorher offene Feld. Das Publikum, im Ohr das ungeduldige Ich schnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb es gern in jeden Kieselstein...auf jeden weissen Zettel möcht ich‘s schreiben: Dein ist mein Herz, dein ist mein Herz und soll es ewig, ewig bleiben! konnte die Baumstämme auf Spuren befragen.
Im verwunschen-verwachsenen südwestlichen Eck des Geländes flehten Lieder leise durch die hereinbrechende Dämmerung und flüsternd leise Wipfel rauschten. Dem Lauf der Aach folgend fanden wir einen schönen Platz, um das Fliessen des Baches zum Fliessen der Schrift in Beziehung zu setzen. Langsam schlich sich unter Aichers Gedanken der Schubert-sche Flossenschlag ein und die schaurige Geschichte des hinterhältigen Fischers nahm ihren Lauf bis die getäuschte Forelle an der Angel hing.
Beim einsamen Baum verwandelten sich die Jahreszeiten und wir befanden uns auf der Winterreise wo krähende Hähne uns in Kälte und Dunkelheit versetzten. Das sorglose Dahinplätschern des Wassers an den Mühlenrädern, die in in der Schönen Müllerin an jedem Bache stehen, durfte natürlich nicht fehlen, allerdings ironisch gebrochen durch bissige Kommentare Otl Aichers zur Glaubhaftigkeit ökologischer Statements.
Im geschichtsträchtigen Kolloquiumsraum mit sukkzessiv von einfühlsam-kurbelnder Hand sich öffnender Luke kam der Sehnsuchtslaut des Anfangs - das Ach an der Aach - noch einmal, jetzt in technisch bearbeiteter Variation, zum Zuge und führte Heines Gedicht zum Ende: Ach jenes Land der Wonne, das seh ich oft im Traum, doch kommt die Morgensonne, zerfliessts wie eitel Schaum. Jäh brach hier der Gesang ab und Aichers Stimme schloss mit der lakonischen Bemerkung:
... wir wollten Arbeitsmethoden entwickeln, die zu besseren Verhältnissen führen, humaneren, zu menschlichen Verhältnissen. Und das kann man nicht postulieren, weder von einem Buch noch von einer Kanzel oder von einem Programm aus - das muss man machen.
Otl Aicher
... je dreckiger es zugeht, umso mehr wird von hoher Warte verkündet, wir müssen Verantwortung übernehmen... In Wirklichkeit ist es ein Alibi vor dem, was man wirklich tut, nämlich den Profiten nachgehen.
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